Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren aktuellen Entscheidungen vom 21.03.2005 (Az. II ZR 124/03, II ZR 140/03, II ZR 149/03, II ZR 180/03 und II ZR 310/03) Anlegern im Streit mit dem Finanzdienstleister Göttinger Gruppe den Rücken gestärkt. Die beigefügte Pressemitteilung des BGH wurde zwischenzeitlich in sämtlichen überregionalen Zeitungen (z.B. in der Süddeutschen Zeitung vom 22.03.2005) veröffentlicht.
Diese Urteile haben nach unserer Einschätzung aber auch für eine Vielzahl von Anlegern anderer atypisch stiller Beteiligungsmodelle, z.B. der Südwest Finanz Vermittlung AG („Südwestrentaplus“) oder der Frankonia Wert AG („Frankoniawert“ oder nunmehr: Deltoton AG) erhebliche Bedeutung. Betroffene, die nach dem 01.01.1998 ihr Geld in eine atypisch stille Beteiligung z.B. bei der Südwest Finanz Vermittlung Zweite AG oder der Frankonia Wert AG mit der Aussicht auf eine monatliche Rente gesteckt haben, können nach diesen Entscheidungen ihre Verträge mit sofortiger Wirkung kündigen und ihre Einlagen komplett zurückfordern.
Sowohl die Südwest Finanz Vermittlung Zweite AG (Markdorf) als auch die Frankonia Wert AG (Würzburg; nunmehr: Deltoton AG) haben ebenso wie die Göttinger Gruppe mindestens bis Ende 1999 Beteiligungen vermittelt, die nach den auf der Rückseite der Zeichnungsscheine abgedruckten Vertragsbedingungen grundsätzlich die Auszahlung der Auseinandersetzungsguthaben in monatlichen oder jährlichen Raten vorsahen. Hierbei wurde sogar eine Verzinsung des Auseinandersetzungsguthabens bis zur vollständigen Auszahlung mit 6 % zugesichert.
Was von der Südwest Finanz Vermittlung AG und der Frankonia Wert AG jedoch ebenso wie von der Göttinger Gruppe übersehen worden war:
Durch eine Novellierung des Kreditwesensgesetzes (KWG) hatten sich bereits zum 01.01.1998 die gesetzlichen Rahmenbedingungen insoweit geändert als Beteiligungsanbieter verbotene Bankgeschäfte betreiben würden, wenn sie entsprechend der vertraglichen Vereinbarung die jeweiligen Auseinandersetzungsguthaben ratenweise auszahlen würden. Denn hierdurch würden die Beteiligungsgesellschaften Einlagengeschäfte betreiben, ohne hierfür im Besitz der erforderlichen Erlaubnis zu sein.
Um einer Untersagungsverfügung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht wie im Fall der ein insoweit identisches Anlagekonzept vertreibenden Göttinger Gruppe ("Securenta") zuvor zu kommen, haben sowohl die Südwest Finanz Vermittlung als auch die Frankonia Direkt und Wert AG rechtzeitig reagiert und 2000/2001 ihre atypisch stillen Gesellschafter angeschrieben und diese zu einer angeblich mit dem Bundesaufsichtsamt abgestimmten Vertragsanpassung genötigt.
Nach unserer Auffassung, die wir bereits seit mehr als 5 Jahren in zahlreichen Auseinandersetzungen mit diversen Anbietern atypisch stiller Unternehmensbeteiligungen vertreten, ist mit dem Wegfall der vertraglich zugesicherten ratierlichen Auszahlung und Festverzinsung des Auseinandersetzungsguthabens auch die Geschäftsgrundlage für den Vertrag nachträglich entfallen. Die hiervon betroffenen Beteiligungsverträge können deshalb selbst für den Fall, dass der Anleger einer Vertragsanpassung zugestimmt haben sollte, noch heute gekündigt werden.
Diese von den Beteiligungsanbietern vehement bestrittene Rechtsauffassung hat der Bundesgerichtshof nun erfreulicherweise bestätigt und damit auch der bis dahin abweichenden herrschenden Rechtssprechung der Obergerichte eine klare Absage erteilt:
Der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat hat festgestellt, dass die von den Anlegern geschlossenen Gesellschaftsverträge zwar grundsätzlich wirksam sind. Die Anleger könnten ihre Beteiligung aber mit sofortiger Wirkung kündigen. Der Kündigungsgrund liege in der Ankündigung der Göttinger Gruppe, die Guthaben künftig nur noch in einer Summe auszuzahlen. Da damit die versprochene Verzinsung wegfalle, sei den Anlegern die Fortsetzung der Verträge nicht mehr zumutbar. Sie hätten aufgrund der Kündigung einen Anspruch auf sofortige Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens, also des Wertes, den ihre Beteiligung zur Zeit hat (bitte beachten Sie hierzu die beigefügte Pressemitteilung des BGH vom 21.03.2005).
Hier steckt allerdings auch ein kleiner Haken dieser Entscheidungen versteckt:
Ebenso wie bei der Göttinger Gruppe betragen die Auseinandersetzungsguthaben auf Grund der überaus hohen „weichen Kosten“ regelmäßig nur einen Bruchteil der durch den Anleger bis heute eingezahlten Einlagen. Die Südwest Finanz Vermittlung behauptet beispielsweise in zahlreichen aktuellen Verfahren unserer Kanzlei, trotz einer fast 10 jährigen Beteiligungsdauer einiger unserer Mandanten sei bis heute noch keine Rendite erwirtschaftet worden. Die Auseinandersetzungsquote soll bei gerade mal 40 % (!) der bis dahin von den Anlegern geleisteten Einlagen liegen.
Allerdings hat der Bundesgerichtshof bereits in seiner ebenfalls viel beachtenden Entscheidung vom 19.07.2004 - II ZR 354/02 ein Hintertürchen geöffnet und dieses Schlupfloch mit seinen aktuellen Entscheidungen vom 21.03.2005 noch einmal bestätigt:
Die Anleger könnten nach Auffassung des BGH dann die von ihnen gezahlten Einlagen in voller Höhe und unabhängig von dem gegenwärtig noch bestehenden Wert ihrer Beteiligung zurückverlangen, wenn sie bei Vertragsschluss nicht ordnungsgemäß über die Nachteile und Risiken der Anlage aufgeklärt worden seien.
Und bei Verträgen, die nach dem 1. Januar 1998 abgeschlossen worden sind, hat der BGH einen solchen Aufklärungsmangel bereits darin gesehen, dass den Anlegern die Rentenzahlung am Ende der Vertragslaufzeit als sicher dargestellt worden ist!
Doch auch Anleger, die bereits vor dem 01.01.1998 ihre Verträge abgeschlossen haben, lässt der BGH nicht im Regen stehen:
Bei den Vertragsschlüssen aus der Zeit vor 1998 habe diese Aufklärungspflicht nach Auffassung des BGH zwar noch nicht bestanden, weil nach der alten Fassung des Kreditwesengesetzes die Rentenzahlung zweifelsfrei zulässig war. Auch hier könnten die Klagen der Anleger jedoch erfolgreich sein, wenn diese in Bezug auf andere Umstände nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sind.
Zur Klärung dieser Frage hat der BGH einige der Verfahren an die Berufungsgerichte zurückverweisen müssen. Diese sollen nun durch Vernehmung von Zeugen feststellen, ob die Werber der Göttinger Gruppe den Anlageinteressenten die Risiken der Anlage verschwiegen oder dazu falsche Angaben gemacht haben. Den Berufungsgerichten ist auch aufgetragen worden zu prüfen, ob nach dem Anlagekonzept nur ein ganz geringer Teil der Anlegergelder für die Investitionstätigkeit bestimmt war und der weit überwiegende Teil die sog. weichen Kosten, wie etwa die Provisionen für die Werber und die allgemeinen Verwaltungskosten, abdecken sollte. In diesem Fall wäre ein Gewinn der Anleger unwahrscheinlich, ein Verlust dagegen wahrscheinlich gewesen. Auch darüber hätten die Anleger ggf. aufgeklärt werden müssen.
Im Klartext lassen sich aus den Urteilen des BGH somit auch für Südwestrenta-Anleger und Frankonia-Anleger folgende erfreuliche Rückschlüsse ziehen:
1. Anleger, die ihre Beteiligungen nach dem 01.01.1998 gezeichnet haben und deren Verträge ursprünglich eine ratierliche Auszahlung mit Festverzinsung vorgesehen haben (bis Ende 2000 meist der Fall), können ihre Beteiligungen mit sofortiger Wirkung kündigen und ihre Einlagen in voller Höhe zurück fordern.
2. Verträge von Anlegern, die vor dem 01.01.1998 abgeschlossen worden sind, sahen ursprünglich stets eine ratierliche Auszahlung mit Festverzinsung vor. Die betroffenen Anleger können ebenfalls bereits ausschließlich aus diesem Grund ihre Beteiligungen mit sofortiger Wirkung kündigen, erhalten jedoch grundsätzlich nur den Wert ihres aktuellen Auseinandersetzungsguthabens erstattet. Eine Einlagenrückerstattung in voller Höhe hat aber dann zu erfolgen, wenn der Anleger bei Vertragsschluss durch den Anlagevermittler falsch beraten, unzureichend über die Risiken der Anlage aufgeklärt oder arglistig getäuscht worden ist.
3. Auch Anleger die erst zu einem späteren Zeitpunkt beigetreten sind und deren Verträge nicht mehr eine ratierliche Auszahlung mit Festverzinsung vorsahen, können die Verträge fristlos kündigen und eine Rückerstattung ihrer geleisteten Einlagen verlangen. Voraussetzung hierfür ist, dass sie bei Vertragsschluss durch den Anlagevermittler falsch beraten, unzureichend über die Risiken der Anlage aufgeklärt oder arglistig getäuscht worden sind. So hat der BGH bereits im vergangen Jahr entschieden (Urteil vom 19.07.2004, Az. II ZR 354/02).
Zusammen mit dem Urteil vom 19.07.2004 - II ZR 354/02 haben die weiteren Urteile des BGH vom 21. März 2005 – II ZR 124/03, II ZR 140/03, II ZR 149/03, II ZR 180/03 und II ZR 310/03 somit nicht nur eine Verbesserung des Anlegerschutzes bei der Göttinger Gruppe, sondern auch für Anleger von „Südwestrenta“ (Südwest Finanz Vermittlung Erste, Zweite oder Dritte AG) oder „Frankonia“ (Frankonia Direkt, Wert oder Sachwert AG) und anderer Anbieter der seit Jahren von der Finanzpresse, Brancheninformationsdiensten und den Verbraucherzentralen zu Recht kritisierten atypisch stillen Beteiligungsmodellen zur Folge.
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